Das Wetter zeigte sich zu diesem Zeitpunkt bereits von seiner besten Seite und die Prognose für den Tag war nach der langen Schlechtwetterperiode die Tage davor hervorragend, was sich am Ende auch zur Freude aller Radfahrer bewahrheitet hat.
Eine Hälfte der Teilnehmer hatte zum einen eine so starke Sehschwäche, welche es nicht mehr zulässt, selbständig und alleine auf einem herkömmlichen Fahrrad zu sitzen und dieses zu lenken, oder zum anderen ist bereits vollständig erblindet, was eine normale Teilnahme am Straßenverkehr generell ausschließt. Sie wurden an diesem Tag als kurz „Copiloten“ bezeichnet.
Die andere Hälfte setzte sich aus ehrenamtlichen freiwilligen Radfahrern zusammen, eine große Zahl davon waren Mitarbeiter der Audi AG, welche einem internen Aufruf gefolgt waren. Ein Teilnehmer nahm sogar den langen Weg aus Ingolstadt auf sich. Sie wurden „Piloten“ genannt.
Zusammen konnte man für die gemeinsame Ausfahrt auf acht zweisitzige Fahrräder zurückgreifen, welche der Verein über viele Jahre selbstständig für sehr, sehr viel Geld erworben hat. Diese setzen sich aus verschiedenen Varianten und Bauweisen zusammen: drei herkömmliche Tandems, so wie sie jeder im Kopf hat, scherzhaft „Bio-Bike“ bezeichnet, zwei E-Tandems, zwei Dreiräder mit elektrisch unterstütztem Hinterrad und mit lenkbarer Vorderachse mit zwei Vorderrädern, und – als wohl optisch kuriosestem wie spektakulärstem Gefährt - ein Doppelgespann mit 5 Rädern: eine lenkbare Vorderachse, eine zweirädrige Hinterachse mit E-Motor, dazu angekuppelt ein zweites „Dreirad“, bei dem das Vorderrad fehlt, da die Gabel lenkbar mit dem vorderen Dreirad verbunden ist, und eine nicht elektrifizierte Hinterachse mit zwei Rädern.
Alle Räder standen durch den unermüdlichen Einsatz eines weiteren Ehrenamtlichen Mitarbeiters des BSV, welcher nicht an der Ausfahrt teilnahm, bereits beim Eintreffen der meisten Protagonisten in einem technisch bestens präparierten Zustand für den Einsatz bereit. Die acht Fahrräder wurden dann anschließend auf die Copiloten und Piloten aufgeteilt und auf deren Körpermaße eingestellt. Die Piloten machten sich darüber hinaus in kurzen Vorversuchen auf dem Vorplatz und dem angrenzenden Radweg mit dem teilweise noch ungewohnten Gefährten vertraut. Wolfgang Heiler, der vollständig erblindete Bezirksgruppenleiter des Vereins und Ausrichter der Ausfahrt, wies alle Copiloten und Piloten im Anschluss auf die Besonderheiten der verschiedenen Fährräder und Gespanne ein und gab wichtige hilfreiche Tipps, z.B. dass eine gemeinsame Absprache der Piloten beim Anfahren mit den beiden E-Tandems wegen des unabhängigen Antriebs hilfreich ist, da die Pedale in der Regel nicht synchron wie bei den Bio-Bike Tandem stehen und damit nach dem Abstoßen die Gefahr bestünde, auf den ersten Metern ins Taumeln zu geraten. Zudem erklärte sich im Vorfeld noch ein Pilot bereit, die gesamte Gruppe anzuführen und zu leiten.
Nach der Aufstellung vor der seitlichen Fassade des Bahnhofsgebäudes für mehrere obligatorischen Gruppenfotos ging es dann auch endlich los.
Die Fahrt führte zunächst durch Böckingen über die Heckenstraße und Bruhweg an vielen gelbblühenden Rapsfeldern und saftig grünen Wiesen vorbei in Richtung Leingarten. Die Piloten beschrieben den sehbeeinträchtigten wie blinden Copiloten die Umgebung, um diese nicht nur mit ihrem Geruchs-, Hör- und Tastsinn teilhaben zu lassen. Die Route führte dann etwas unbeabsichtigt nach Leingarten hinein statt vorbei, wo durch den starken Verkehr die Gruppe in zwei Teile getrennt wurde. Nach Kommunikation per Mobilfunkgeräten fanden die Teilnehmer wieder nach einer kleinen Irrfahrt durch Leingarten zusammen, um sich dann mit vereinten Kräften und teilweise neu gemischten Paarungen über die ersten großen Hügel des Tages um den Heuchelberg zu wuchten.
Am Fuße des Heuchelberges in der wärmenden strahlenden Sonne ergab sich dann eine schöne Gelegenheit ohne die übertönenden Geräusche der Stadt, dass sich die einzelnen Teilnehmer gegenseitig vorstellen konnten. Nach dieser ersten kleinen informativen Pause setzte sich der Tross weiter in Richtung Nordheim in Bewegung.
Die gesamte Tour erfolgte größtenteils über geteerte Flur- und Radwege. Nur wenn es nicht mehr zu vermeiden war, musste man auf die verkehrsreichen Straßen ausweichen. Beim Bremsen bzw. „Segeln“, also Fahren ohne zu Treten, erwies es sich für die Piloten als hilfreich bzw. notwendig, dies ihren sehbeeinträchtigten Partnern im Rücken mitzuteilen, damit zum einen nicht unnötig Kraft von den Copiloten verschwendet, zum anderen nicht „gegeneinander“ gearbeitet wird. Durch die Kraft der zwei Herzen auf den Rädern und der teilweisen E-Motor-Unterstützung wurde dem ständigen Auf und Ab der bisher bergigen Topographie doch sehr der Schrecken genommen.
Weiter führte der Weg dann bei angenehmen sommerlichen Temperaturen über die Orte Nordhausen, Dürrenzimmern, Brackenheim, zwischen Hausen an der Zaber und Meimsheim hindurch zum Zwischenziel Laufen am Neckar.
Im Ort zeigte es sich wieder, dass Städte nur bedingt für eine so große Fahrradgruppe geeignet sind. Umwege, Umleitungen und Baustellen gestalteten sich als Tortur für alle Gespanne. Aber nach diesen Hindernissen und den vielen Kilo- und Höhenmetern in der prallen Sonne fanden sich dann alle zur mittäglichen großen Pause beim Bioweingut Wörthmann ein. Für die große Gruppe wurden vom Wirt und seinem Personal extra weitere Stühle und Tische in den Außenbereich gestellt, so dass man das perfekte Wetter zur leiblichen Stärkung genießen konnte.
Nach der mehr als einstündigen Auszeit mit weiteren informativen, aufklärenden Gesprächen schwangen sich alle Radfahrer wieder geistig und körperlich gestärkt auf ihre „Doppelsitzer“, um nach der Überfahrt der Brücke in die Altstadt von Laufen diese in nördlicher Richtung am Neckar entlang zu verlassen. Der hervorragend ausgebaute flach verlaufende, nahezu geradlinigen Radweg in Richtung Heilbronn/Horkheim am östlichen Neckarufer an seinen sonnenlichtdurchtränkten Weinbergen lud unweigerlich im Gegensatz zum bisherigen grobwelligen Relief zum schnelleren Fahren ein. Die Tachonadel schwankte dabei lange Zeit ohne allzu große Anstrengungen um 25km/h. Unterbrochen wurde die schnelle Fahrt nur durch den Wechsel an das westl. Ufer bei Klingenberg.
Danach nahm der Tandem-Zug entlang der Bahnlinie in Richtung Böckingen wieder schnell an Fahrt auf. Nach kleinen Engstellen an der Brackenheimer Brücke Richtung Strombergstraße und am Bürgerhaus von Böckingen vorbei kam die 16-köpfige Radl-Truppe nach 45 Kilometern und 350 Höhenmetern wieder gesund und unfallfrei am Vereinsheim vom BSV an.
Dort wartete auf alle Teilnehmer zum Abschluss der erfahrungs- und aufschlussreichen, gemeinschaftlichen wie sportlichen Radausfahrt eine Stärkung in Form von Kaffee und Kuchen, kalten Getränken und kühlem Bier, dankenswert vorbereitet von der Ehefrau des Bezirksgruppenleiters Wolfgang Heiler. Dieser bedankte sich am Ende bei allen Teilnehmern und gewann sicherlich neue Piloten für die in der Regel monatlich stattfinden Ausfahrten.
Christian Pfab, Bad Friedrichshall
Streckenverlauf: